Felix Römer
Wie ich einmal fast wie die anderen geworden wäre
oder: Alltag 2. Klasse
Manchmal tröpfelt alles so vor sich hin,
Ein langsamer Zug ohne Halt. Ich sitz drin.
Keine großen Gefühle oder wenigstens Leid.
Ich schau aus dem Fenster, da entgleitet die Zeit.
Ja, soll sie vorbeizieh'n, das stört mich nicht mal,
Hier ist klimatisiert, mir ist alles egal.
Es ist nicht mal schlecht, halt einfach nur Trott.
Keine Zweifel am Leben, keine Fragen nach Gott.
Ab und zu kommen Gedichte oder auch Lieder,
Die öffnen die Fenster, doch ich schließe sie wieder
Denn der Wind schmeckt nach Aufbruch und Heimweh ist so groß,
Dass ich mich dann ganz klein seh'
Und bei Windstille nicht mal mehr einseh',
Dass ich bei Frischluft bald eingeh'.
Denk' nur: es is' nich mal schlecht, halt einfach nur Trott.
Keine Zweifel am Leben, keine Fragen nach Gott.
Und ich weiß noch wie's war, als ich zu Fuß ging,
Als das Weiterkommen alleine an mir hing.
Ich wusste damals, dass ich langsamer bin,
Aber auch, dass allein ich bestimme, wohin.
Und es bedrückte mich oft, genau das zu wissen,
Heute drückt nur mein Eigengewicht mich in die Kissen.
Es ist einfach nur Trott. Es gibt nichts zu erleben.
Keine Zweifel an Gott, keine Fragen nach Leben.
So lass ich mich nun durch die Zeit transportieren,
Versuch' noch meine Passivität zu kaschieren,
Indem ich ein Buch les' von der Freiheit nach allen Seiten,
Während die Räder stur die Gleise lang gleiten,
Als sich endlich, endlich, die Frage mir stellt:
Wohin fährst du, verhinderter Held?
Und wieder weiß ich's nich. Ich kann's nich sagen
Und dieses Gefühl, das ist nicht zu ertragen.
Aber dieses Mal ist der Weg sogar noch bestimmt,
Ohne Möglichkeit, dass man Einfluss drauf nimmt.
Hier serviert man mir täglich Becher und Teller,
Im Raucherabteil geht's vielleicht etwas schneller.
Ich kann mir nich mal die Aussicht selber wählen,
Denn über was Spannenderes als mein Nachbar erzählen.
Und man musste mich nicht mal zwingen,
In diesen beschissenen Zug zu springen,
Und ich öffne das Fenster und ich atme tief ein
Und ich weiß: hier drin kann ich nicht länger sein!
Es ist gefährlich, aus fahrenden Zügen zu springen,
Aber besser als sich langsam umzubringen.
Und ich springe und ich falle und ich verletze mich schwer
Und die Schmerzen im Körper beleben mich sehr.
Ich zerreiß meine Kleider, verbinde die Wunden,
Ein Fluss mich zu waschen ist schnell gefunden
Und nackt und sauber, vielleicht etwas entstellt,
Lauf ich jetzt wie neu durch ein Feld,
Verfalle schnell in einen himmlischen Trott,
Ohne Zweifel am Leben, ohne Fragen nach Gott.
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